Mandy – meine Geschichte über Brustkrebs geht weiter …

Gerne hätte ich meinen Kindern eine Kindheit geboten, die unbeschwerter ist. Während meiner Chemotherapie war ich oft körperlich sehr eingeschränkt und auch psychisch manchmal in keiner guten Verfassung. Gelegentlich genügten nur ein falscher Satz eines Radiomoderators oder irgendwelche anderen, banal erscheinenden äußeren Einflüsse und ich brach in Tränen aus, weil mich der Gedanke, meine Kinder durch meinen Tod allein lassen zu müssen, in so tiefe Verzweiflung stürzte.

Auch für meinen Mann war die Situation nicht einfach, da er selbst durch eine eigene Schwerbehinderung eingeschränkt und seine Belastbarkeit vermindert ist. Zudem sah er sich mit der Tatsache konfrontiert, die Frau, die er liebte und die die Mutter seiner drei Kinder ist, möglicherweise durch die Krankheit zu verlieren.

Für uns stand das Wohlergehen der Kinder immer im Vordergrund und so hielten wir bereits früh Ausschau, ob es Möglichkeiten gibt, Familien wie die unsere in solch besonderen Situationen zu unterstützen.

Naheliegend war eine Unterstützung durch eine von der Krankenkasse finanzierte Haushaltshilfe. Hierfür brauchten wir ärztliche Atteste, die uns die Notwendigkeit dafür bescheinigten. Es war für uns schwierig und kräftezehrend, mit der Krankenkasse hierüber Diskussionen führen zu müssen. Oft fühlte ich mich in eine Rechtfertigungsposition gedrängt, in der ich erklären musste, warum ich nicht mehr so leistungsstark wie im gesunden Zustand wäre.
Ein Sachbearbeiter der Krankenkasse stellte beispielsweise die Genehmigung für die Haushaltshilfe nur für einen sehr kurzen Zeitraum aus mit der Begründung, es ginge mir ja in einer Woche möglicherweise besser, woraufhin ich erläutern musste, dass ich gerade die zweite von insgesamt 16 geplanten Chemotherapien bekommen hatte und mit einer Besserung meiner Beschwerden daher in diesem Zeitraum nicht zu rechnen ist.
Diese theoretische Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Haushaltshilfe ließ sich dann in der Praxis nur sehr schwer umsetzen, weil wir keinen Dienstleister fanden, der über freie Kapazitäten verfügte. Wir telefonierten über 20 verschiedene mögliche Anbieter ab und wurden jeweils abgewiesen. Auch die Krankenkasse konnte bei der Vermittlung einer Haushaltshilfe nicht behilflich sein.
Die Haushaltshilfe, die wir schließlich fanden, stellte sich allerdings als unzuverlässig heraus und erschien oft, ohne sich abzumelden, einfach gar nicht.

Abends saßen mein Mann und ich häufig am Tisch und weinten beide vor Überforderung, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Angst vor dem, was uns die Erkrankung noch bringen würde.

Gerade an meinen Mann stellte das Umfeld oft Ansprüche, denen er kaum gerecht werden konnte.

„Sie sind doch zuhause, da können Sie Ihre Frau doch unterstützen“. Ja, und das tat er auch. Er geht allerdings nicht aus Spaß keiner Berufstätigkeit nach, sondern weil er aufgrund eigener Schwerbehinderung und einer daraus resultierenden attestierten Erwerbsunfähigkeit dazu nicht in der Lage ist und besondere Umstände es einfach erfordern, dass er im Alltag bestimmte Regenerationszeiten benötigt, die nun aufgrund meiner Erkrankung wegfielen. Und allein schon die Tatsache, dass er plötzlich 24 Stunden der Hauptversorger für drei wirklich noch sehr kleine Kinder war, forderten ihn bis über seine Belastungsgrenzen heraus. Dies wurde dadurch erschwert, dass unser Sohn Jacob erst nach Ende meiner Akuttherapie einen Krippenplatz bekam und die Zeit bis dahin meist 24 Stunden durch meinen Mann betreut wurde.

Wir zogen schließlich in Erwägung, uns an das zuständige Jugendamt zu wenden…

und über Hilfsangebote zu informieren, um Unterstützung für unseren Alltag zu erhalten. Diese Gespräche waren besonders ernüchternd. Seitens des Jugendsamtes wurde unsere Hilfsanfrage zunächst gar nicht bearbeitet und erst auf Nachfrage wurde uns mitgeteilt, dass uns keine Hilfe angeboten werden könne, da bei uns keine erzieherischen Defizite vorlägen. Mein Verweis auf § 20 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) wurde zuerst als falsch betitelt, dann wurde uns wurde mitgeteilt, dass sie noch nie mit dieser Grundlage gearbeitet hätten.

Nachdem ich den Kinderschutzbund zwischengeschaltet hatte und dieser uns in unserer Beharrlichkeit bestärkte, versuchten wir weiter, das Jugendamt von deren Zuständigkeit zu überzeugen, und fühlten uns dabei wie lästige Bittsteller.
Mein Mann sah sich beispielsweise mit der Aussage konfrontiert: „Sie können mir doch nicht erzählen, dass Ihre Frau sich nicht um Ihren Sohn kümmern kann“, die mich einfach nur wütend zurückließ, weil ich es ja tatsächlich nicht konnte und mich dafür nun auch rechtfertigen musste.

Das Jugendamt verwies uns weiter an den Paritätischen, da nach Aussage des Jugendamtes diese Organisation eher helfen könnte. Die Bearbeiterin beim Paritätischen wiederum wunderte sich, dass das Jugendamt an freie Träger verweist, die keine Mittel für unseren Hilfsbedarf zur Verfügung stellen würden.

Weitere bürokratische Hürden verhinderten, dass wir schließlich Unterstützung durch das Jugendamt bekamen.
Wir wandten uns an zahlreiche weitere Organisationen wie beispielsweise den Familienentlastenden Dienst, die AWO, den Kinderschutzbund, die Dorfhelferinnen etc., die allgesamt entweder die Zuständigkeit negierten oder uns zurück ans Jugendamt verwiesen.

Wir haben leider nicht das Glück, auf umfangreiche familiäre Unterstützung zurückgreifen zu können. Mein Mann hat keinen Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie und meine eigene Familie war durch meine Krebserkrankung so betroffen, dass sie den Wunsch nach Distanz hatten. So waren wir hauptsächlich auf uns allein gestellt.

Es war mir zudem ein Anliegen, Vorkehrungen für meinen möglichen Tod zu treffen. Auch dieses Anliegen versuchte ich im Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Jugendsamtes zu thematisieren: Welche Hilfen gäbe es denn für meinen Mann, wenn er plötzlich alleinerziehender Vater mit drei kleinen Kindern wäre? Die Antwort war ernüchternd: keine.
Das Einzige, was das Jugendamt sich hätte vorstellen können, wäre eine temporäre Unterbringung unserer drei Kinder in Pflegefamilien. Und Hoffnung darauf, dass alle drei Kinder in einer einzigen Pflegefamilie unterkommen könnten, sollten wir uns ebenfalls nicht machen.

Ich bin an der Vorstellung daran, dass meine Kinder, die in der Zukunft möglicherweise ihre Mutter verlieren, auch noch von ihrem Vater und ihren Geschwistern getrennt werden könnten, fast zerbrochen.

Ich war erschüttert, dass die Mitarbeiterin des Jugendamtes so eine wirtschaftlich und vor allen Dingen menschlich nicht nachvollziehbare Lösung vorschlug.

Mittlerweile liegt die Akutbehandlung hinter mir. Jedoch besteht die Gefahr bei einer Krebserkrankung darin, dass sich Metastasen bilden. Sollte dies geschehen, was erst die kommenden Jahre zeigen werden, dann gilt die Erkrankung als unheilbar.* Die Frage, welche Unterstützung mein Mann im Falle meines Todes zu erwarten hätte, ist also nach wie vor aktuell. Und eine Antwort ließ sich bisher nicht finden.

 

Mandy hat über ihr Leben mit der Krebsdiagnose ein Buch geschrieben:

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: krebsgesellschaft.de, Fotos: Privat_Mandy Falke
* Quelle bspw. https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/brustkrebs/erkrankungsverlauf.html