Raúl Krauthausen über Inklusion und Kindererziehung

Der studierte Kommunikationswirt und Inklusions-Aktivist Raúl Krauthausen bloggt, twittert und postet über die Themen Inklusion und Barrierefreiheit. Mal humorvoll, mal ernst kann man auf seinem Instagram-Profil (@raulkrauthausen) die Aktivitäten des gebürtigen Peruaners verfolgen, der aufgrund einer Glasknochenkrankheit im Rollstuhl sitzt. 2004 gründete er das Aktivist:innen-Netzwerk Sozialhelden e. V., welches Menschen für gesellschaftliche Probleme sensibilisieren soll. 2013 erhielt Raúl für sein soziales Engagement das Bundesverdienstkreuz. Mit dem Grimme Online Award für „persönliche Leistung“ wurde er ebenfalls ausgezeichnet. Mittlerweile ist Raúl Deutschlands bekannteste Stimme, wenn es um Inklusion geht.

Wir sprechen mit Raúl heute über das Thema „Erziehung und Inklusion“.

Raúl Krauthausen im Gespräch über Diversität
Wie können Eltern damit umgehen, wenn ihr Kind jemanden mit Behinderung anstarrt?

 Auf keinen Fall mit Bestrafung – daraus würden Schuldgefühle entstehen. Angst oder Scham sind nicht das, was Kinder im Zusammenhang mit Behinderungen empfinden sollten. Man könnte mit dem Kind reden, es fragen: „Wie würdest du dich denn in so einer Situation fühlen?“

Wenn ein Kind jemanden mit Behinderung ansieht, ist das grundsätzlich erstmal in Ordnung. Nur bei einem zu langwierigen Anstarren würde ich Eltern raten, zu sagen: „Es ist okay, wenn du guckst, aber bitte nicht so lange.“

Manchmal sind es auch die Eltern, die den Kindern Sätze wie „Der Mann hat Aua“ ins Ohr flüstern. Nicht jeder Behinderte, der im Rollstuhl sitzt, hat Schmerzen. Eine Behinderung geht nicht automatisch mit Leid und Qual einher. Auch das ist für Kinder wichtig zu erfahren.

Raúl Krauthausen im Gespräch über Menschen mit Behinderungen

Wie ist es, wenn Kinder einen Menschen mit Behinderung fragen: „Was hast du denn?“ Sollten Eltern hier eingreifen?

 Hierauf kann es keine pauschale Antwort geben. Ich kann immer nur für mich sprechen und nicht für alle Menschen mit Behinderungen. Behinderte sind aber generell kein Erklärbär. Es ist nicht der Job von Menschen mit Behinderung, Kindern den Umgang mit Behinderungen zu lehren. Dieser Aufgabenbereich liegt hauptsächlich bei den Eltern.

Es kommt auch darauf an, aus welchem Grund Kinder fragen. Es ist natürlich, dass Kinder neugierig sind. Häufig werden Kinder aber quasi vorgeschoben, um die Neugier der Eltern zu befriedigen. Das wiederum ist nicht okay.

Wie reagierst du denn, wenn du von Kindern angesprochen wirst?

 Wenn mich beispielsweise ein Kind darauf anspricht, warum ich so klein bin, antworte ich meist: „Es gibt große Menschen und es gibt kleine Menschen. Ich finde das okay. Du auch?“ So wird das Kind angeregt, eine Antwort in sich selbst zu suchen, und bekommt diese von mir nicht vorgegeben. Und die Antwort auf diese Frage lautet schließlich immer „Ja“.

Außerdem versuche ich, anstatt der Unterschiede die Gemeinsamkeiten zu betonen. Ich frage also z. B.: „Magst du Eis? Prima ich auch.“ Wenn mir das Kind dann seine Lieblingseissorte verrät und ich ihm meine, können wir uns auf einer ganz anderen Ebene begegnen.

Wird im Bereich „Erziehung und Inklusion“ genug getan? Sind Lehrer und Erzieher hinreichend aufgeklärt?

 Nein, es wird nicht genug getan. Häufig wird argumentiert, dass Pädagog:innen nicht hinreichend ausgebildet sind. Das ist auf mehreren Ebenen Quatsch. Eltern behinderter Kinder sind auch nicht ausgebildet. Es ist nicht so, dass nur speziell ausgebildete Fachkräfte Aufgaben übernehmen und inklusive Erziehungsarbeit leisten können.

Was muss geschehen? Mehr inklusive Kinderbücher? Mehr inklusive Kindergärten? Was würde denn wirklich helfen?

 Mehr von allem. Es müssen andere Geschichten geschrieben werden. Nicht mehr die von den armen, schwachen Behinderten. Nehmen wir als Beispiel die Kinderserie „Heidi“: Heidi ist das starke Mädchen, welches in der Beschützerrolle glänzt. Klara ist das passive, schwache Mädchen, was im Rollstuhl sitzt, leidet und unglücklich ist. Das ist wirklich ein Musterbeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Es muss mehr Geschichten geben, in denen Menschen nicht über ihre Behinderung definiert oder aufgrund dessen mit schwächenden Assoziationen belegt werden.

Lieben Dank, Raúl, für deine Zeit und dein Engagement!

Interview: Mandy Falke

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