Das Lächeln hat einen Namen: Mattes
„Ich muss meinen Flimmerhärchen helfen, den Schleim aus mir heraus zu bekommen, und deshalb muss ich immer viel Inhalieren und Medikamente nehmen. Bei gesunden Menschen passiert das von allein. An der Farbe von meinem Schleim kann man erkennen, wie krank ich bin oder ob ich noch Antibiotika brauche. Weiß ist gut, gelb und grün sind nicht gut. Ich hatte auch schon mal braunen Schleim mit rot und da war ich sehr krank.“
Dies sagt Mattes ganz selbstverständlich und immer mit einem Lächeln im Gesicht.
Mattes ist zehn Jahre alt und wird wegen der sehr seltenen Erkrankung PCD therapiert. Die Diagnosestellung ist in einigen Fällen allerdings sehr schwierig.
Nach Mattes Geburt traten schon in den ersten Lebenswochen immer wieder Atemwegserkrankungen auf. Die Infekte verliefen immer auffallend länger als bei seinen zwei Geschwistern. Wir saßen in dem ersten Lebensjahr sehr oft beim Kinder- und HNO-Arzt. Immer wieder hieß es, es wäre Bronchitis und eine Mittelohrenentzündung, was viele Antibiosen notwendig machte. Mit nur drei Monaten fing Mattes an, Kortison dauerhaft zu inhalieren, und auch das Inhaliergerät gehörte schnell zum Alltag. Mit nicht einmal einem Jahr erfolgte die erste OP. Paukenröhrchen wurden in die Ohren gesetzt, damit das zähe Sekret ablaufen konnte und es zu weniger Entzündungen kommt. Auch die Polypen wurden entfernt und bald folgte die erste Reha als Stabilisierungsversuch.
Mattes ist ein Kind, das viel lächelt, sich gern bewegt und viel Freude ausstrahlt. Doch es war nicht immer einfach, ihn zu Therapien zu bewegen. „Inhalieren nervt manchmal, die Medikamente schmecken nicht und ich mag nicht gern zum Arzt oder ins Krankenhaus.“
Es folgten bis zu seinem 5. Geburtstag noch viele Arztbesuche, erneute OPs und Rehabilitationsaufenthalte. Kindergartenbesuche waren leider eher Gastauftritte und schnell war nach einem Besuch der nächste Infekt da. Unserem Kinderarzt, der früher selbst in einer Rehabilitationseinrichtung gearbeitet hatte, war klar, dass Mattes nicht einfach nur ein infektanfälliges Kind ist. Er äußerte nun, mit fünf Jahren, das erste Mal die Verdachtsdiagnose PCD. Damit glaubten wir als Eltern endlich, einen Namen für die Erkrankung unseres Sohnes zu bekommen.
Viele Krankenhausaufenthalte mit Untersuchungen folgten, die nur in Narkose durchgeführt werden konnten. Unser Sohn wurde inzwischen namentlich auf der Station begrüßt. Der behandelnde Arzt war nach den Befunden sicher, dass Mattes unter der vermuteten Erkrankung leidet. Doch die Diagnosestellung war nicht einfach und umfasst einige Bausteine, die Mattes nicht alle erfüllt. Wir gaben unser Einverständnis, dass Mattes Fall auf einem Ärztekongress besprochen werden durfte. Zwei weitere Kliniken wurden eingebunden und auch diese besuchten wir stationär zur Diagnosestellung. Man sagte uns, dass Mattes zu dem Prozentsatz gehöre, bei dem sich die Diagnose nicht belegen ließe. So sind sich zwar alle sicher, aber einen Namen für die Erkrankung gibt es auf dem Papier leider nicht. Lange war dies ein Problem für uns als Eltern.
Am Ende von Mattes Kindergartenzeit wurde zusätzlich deutlich, dass Mattes noch nicht eigenverantwortlich für seine Erkrankung handeln konnte, zudem wurde eine emotionale Entwicklungsstörung festgestellt. So wurde Mattes mit einer Schulbegleitung eingeschult.
Ohne Diagnose ist es eine Achterbahnfahrt, immer wieder die Kraft aufzubringen und für eigentlich Selbstverständliches zu kämpfen: für Medikamente, Hilfsmittel, Rehaaufenthalte, den Pflegegrad, eine Schulbegleitung und Beschulung an einer Regelschule. Wir sind so dankbar, Menschen in unserem Umfeld zu haben, die uns immer zur Seite stehen, uns Arbeiten abnehmen oder ein offenes Ohr haben, wenn der Atem nicht lang genug zu sein scheint. Einen Arzt zu haben, der ganz selbstlos den gefühlt hundertsten Widerspruch schreibt und Termine auch drei Mal die Woche einschiebt, obwohl der Terminkalender voll ist, und der immer wieder ermunternde Worte findet. Eine Physiotherapeutin, die ganz selbstverständlich mit in die Schule geht, um dort über Mattes Erkrankung aufzuklären, damit klar wird, dass das Kind nicht an ADHS leidet, sondern viele Medikamente mit Nebenwirkungen nimmt oder einfach oftmals erschöpft und müde ist. Geschwister, die sich gern und immer wieder hintanstellen und verstehen, warum ihr Bruder manchmal mehr Zeit und Aufmerksamkeit braucht als sie selbst. Wir versuchen, die Geschwister miteinzubeziehen. Sie waren bei jeder Reha dabei.
Heute ist Mattes zehn Jahre alt. Noch immer wurde keine Diagnose gestellt. Therapiert wird er wie ein Kind mit PCD oder Mukoviszidose.
Inzwischen sind wir Profis in diesen Widersprüchen und haben einen langen Atem entwickelt. Mattes ist im Vergleich zur Zeit vor ein paar Jahren gut eingestellt, er bekommt eine Dauerantibiose. Mattes inhaliert ein Medikament, welches die DNA seines Sekrets verändert und es so flüssiger macht, und nimmt weitere Medikamente.
Die Atemtherapie ist ein weiterer Baustein der Therapie geworden. Mattes besucht zweimal wöchentlich eine Physiotherapie, zum einem zum Erlernen der autogenen Drainage, zum anderem zur Mobilisation seines Sekrets. „Ein bisschen Zeit zum Toben ist da auch immer“, meint Mattes.
Wir versuchen, die Keimbelastung zu minimieren, und so ist z.B. das Trinken aus Wasserspendern für Mattes ein Tabu. „Ich habe in der Reha gelernt, niemandem die Hand zu schütteln, und habe eine Zahnbürste für abends und eine für morgens.“ Eine stundenweise Begleitung in der Schule übernimmt die Inhalation und geht mit ihm zum Sport. Wir sind einer Gruppe für PCD-Erkrankte beigetreten und haben darüber eine Familie mit einem PCD-erkranktem Jungen kennengelernt. Der Austausch ist so hilfreich und eine Bereicherung für alle. Ben und Mattes sind richtige Freunde geworden. Sie führen wahrscheinlich andere Gespräche als andere Jungs in ihrem Alter, aber die Interessen sind gleich.
„Dieses Jahr verbringe ich mit Ben Silvester und dann gehen wir zusammen verkleidet zum Rummelpott-Laufen. Das kennt Ben nicht. Ich kann dann auch mit Ben zusammen inhalieren. Das ist dann nicht so langweilig.“
Für uns ist Mattes und jedes einzelne unserer Kinder eine echte Bereicherung in unserem Leben. Wir sind dankbar für jeden Augenblick, jede Erfahrung. Läuft es selten nach Plan, haben wir dennoch das große Glück, solche Sonnenscheine als unsere Kinder haben zu dürfen.