Diversität: Vergesst Menschen mit Behinderungen nicht!

Der Begriff „Vielfalt“ wurde unlängst abgelöst durch das Wort „Diversität“. Hierunter versteht man die Unterschiedlichkeit von Personen bezogen auf Alter, Behinderung, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung und sexuelle Identität – ein weit gefasster Begriff, mit dem in der Öffentlichkeit meist die Geschlechterfrage sowie die berufliche Gleichstellung von Mann und Frau assoziiert wird. Menschen mit Behinderung geraten hierbei häufig in Vergessenheit; oder es wird nur in eine Richtung gedacht, nämlich daran, was Menschen mit Behinderung alles nicht können. Oftmals ist es ihnen deshalb nicht möglich, Teilhabe in allen Bereichen des Lebens zu erfahren und ihre Ressourcen richtig zu nutzen.

Anas Alhakim kam 2013 aus Syrien nach Deutschland. Er absolviert in Berlin ein Masterstudium als Programmierer und ist darüber hinaus als Grafikdesigner tätig, sitzt im Rollstuhl und engagiert sich für die Gleichstellung von Geflüchteten mit Behinderung. Er kennt sich aus mit den Barrieren, denen Geflüchtete im Alltag begegnen. Hierzu gehören beispielsweise Sammelunterkünfte ohne Barrierefreiheit und eine oftmals nicht behindertengerechte Gesundheitsversorgung.

Mohammad Abo Shukur sitzend im Rollstuhl

Lieber Anas, mit welchen Problemen sind geflüchtete Menschen mit Handicap in Deutschland oftmals konfrontiert?

Geflüchtete Menschen werden mit verschiedenen Problemen konfrontiert, vor allem mit der Kommunikation und der Sprache – gerade am Anfang, wo sie das System, ihre Rechte und Pflichten erstmal kennenlernen müssen. Dabei spielt auch der jeweilige Gesundheitszustand eine sehr große und wichtige Rolle, der anfangs oft vernachlässigt wird. Danach kommt es zu Problemen, die die Barrierefreiheit betreffen, was auch in vielen Fällen richtig paradox ist.
Also z. B.: Sie müssen die Sprache lernen, finden aber leider keine Sprachschule, die barrierefrei ist. Und genauso geht es dann weiter mit der Jobsuche oder der Wohnungssuche.

Mohammad Abo Shukur Diversität Rollstuhlfahrer

Gibt es deiner Ansicht nach Maßnahmen, die umgesetzt wurden und die sich als hilfreich erwiesen haben? Wie ist deine Meinung?

Da ich erst seit sieben Jahren in Deutschland bin, kann ich leider die Lage bzw. Situation nicht gut vergleichen. Doch es gibt inzwischen Organisationen, die sich um Geflüchtete mit Behinderung kümmern – wie z. B. das Projekt „Crossroads“ von Handicap International. Das Team verbessert die Teilhabe Geflüchteter mit Behinderung an der Gesellschaft, baut Barrieren ab und fördert Integration.
Was ich auch als Unterschied sehen kann, ist die Entwicklung in den sozialen Netzwerken, wo mehr Menschen mit Behinderung eine Stimme bekommen haben. Das führt zu mehr Aufklärung und Dialog in der Gesellschaft.

Wenn du der Bundesbeauftrage für Menschen mit Behinderungen wärst, was wäre dein erstes Anliegen und was würdest du ändern wollen?

Ich würde Inklusion viel mehr fördern, und zwar durch deutlich mehr Barrierefreiheit und Teilhabe sowie mehr Aufklärung in den Medien. Mehr miteinander statt übereinander reden in den Talkshows.
Menschen mit Behinderung sollen mehr in den Alltag der anderen involviert werden, und zwar nicht NUR durch ihre Behinderung, sondern auch durch ihre Qualifikationen und Kompetenzen. Das soll zur Normalität werden, denn in meinen Augen ist Inklusion nicht nur Barrierefreiheit und Teilhabe, sondern auch Sprache, Mentalität und Begegnung auf Augenhöhe.

Jetzt lebst du bereits seit einigen Jahren in Deutschland und hast die Kultur und Gesellschaft kennengelernt. Wie glaubst du, geht man hier mit dem Thema Diversität um?

Oft wird das Thema Diversität, nach meiner Beobachtung, nicht direkt mit Menschen mit Behinderung verbunden. Und hier meine ich nicht vom Arbeitsplatz oder Studium her, sondern gesellschaftlich bzw. von der Mentalität her. Diversität bedeutet für viele eine Unterscheidung und Anerkennung von Gruppen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen sowie unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe oder Religion. Menschen mit Behinderung werden mit dem Wort „Diversität“ nicht verbunden.

Interview: Mandy Falke

Fotos: Mohammad Abo Shukur