Es geht immer weiter
Es geht immer weiter
Die 1967 in Schweinfurt geborene Annette Albert arbeitet in der Kunsthalle ihrer Heimatstadt. Hier unterstützt sie die Dozenten bei praktischen Malkursen und gibt selbst Kurse sowie Führungen im Museum. Seit mehreren Jahren lebt Annette getrennt von ihrem Mann und hat das Sorgerecht für die drei gemeinsamen Kinder. Nach einem Motorradunfall in ihrer Jugend (mit 23 Jahren), bei dem sie schwer verletzt wurde, musste ihr Bein amputiert werden. Annette ist begeisterte Sportlerin: Sitzball, Rollstuhlbasketball sowie Skifahren gehören zu ihren Hobbys.
Momo: Es bedeutet nicht nur für den Partner, sondern auch für die gesamte Familie eine große Veränderung, wenn ein Elternteil nicht mehr dauerhaft in der Familie lebt. Vor zu schweren Einschnitten sollen vor allem die Kinder geschützt werden. Wie haben Sie das wegfallende Elternteil kompensiert?
Das ist ein schwieriges Thema. Man versucht natürlich, alles richtig zu machen, und hofft, dass die Kinder nicht allzu sehr unter der Trennung leiden. Man will ihnen gerecht werden, sie nicht zu sehr verwöhnen, um etwas zu kompensieren, was mir allerdings schon aus finanziellen Mitteln nicht möglich war. Da gibt es natürlich noch andere Wege, indem man beispielsweise nicht so streng ist und vieles durchgehen lässt. Oftmals fehlt dann eben die durchgreifende Hand. Aber das ist unabhängig davon, ob man ein Handicap hat oder nicht. Es fehlt einem einfach manchmal die Kraft dazu, weil man sich um zu viel anderes Gedanken und Sorgen macht, wie z. B. um die soziale Absicherung.
Hinsichtlich der Art der Erziehung gab es auch Differenzen zwischen mir und meinem Mann. Diese wurden oftmals auch vor den Kindern ausgetragen, was natürlich absolut schlecht war. Mittlerweile funktioniert dies aber alles besser und wir können auch wieder einigermaßen vernünftig darüber reden.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt versucht habe, den Vater zu kompensieren. Mir war klar war, dass ich das nicht kann. Und ich hatte auch nicht wirklich das Gefühl, dass ich das müsste. Ich hoffte einfach, dass den Kindern ihr sozial intaktes Umfeld, meine Familie (z. B. die Großeltern) und ihre Freunde auch einen gewissen Halt gaben. Aber man versucht bzw. ich versuchte ihnen durch Liebe und Anwesenheit das Gefühl zu vermitteln, dass man immer für sie da ist.
Momo: Wie sieht Ihre Strategie aus, die Herausforderungen des Alltags zu bewältigen? Zum Beispiel Familie und Beruf zu vereinen, die Organisation des Alltags, der Haushaltsführung, Kindererziehung und die Sicherung des finanziellen Einkommens.
Mittlerweile habe ich mich etwas hochgearbeitet und arbeite sogar recht viel. Die beiden Ältesten sind inzwischen ja erwachsen, „nur“ der 13-Jährige braucht mich noch. In der Zeit nach der Trennung haben aber auch die älteren Brüder eine gewisse Vaterrolle mit übernommen, da der Altersunterschied ja recht groß ist und Lars, der Jüngste, auch zu seinen Brüdern aufsieht und für sie ein Vorbild ist. Sie – neben der Oma – haben mich oft unterstützt, so dass ich meiner Arbeit und meinen sportlichen Aktivitäten nachgehen konnte und kann.
Momentan hüpfe ich sozusagen zwischen vier Jobs hin und her, um meine finanzielle Existenz zu sichern: zwischen einem Minijob, zwei Jobs auf Honorar- und selbständiger Basis und seit vier Wochen habe ich noch ei-nen Job in einem Labor mit Aussicht auf Festanstellung. Da habe ich jetzt schon ein sehr schlechtes Gewissen, dass mein Lars etwas auf der Strecke bleiben könnte.Aber das hat ja nun auch nichts damit zu tun, dass ich ein Handicap habe.
Heute sehe ich es auch so, dass meine Kinder durch den ganzen Umstand zu einer gewissen Selbständigkeit gezwungen wurden, da ich gewisse Dinge einfordern musste, die ich als Mutter und Hausfrau nicht getan hätte. Und ich finde das im Nachhinein gar nicht so verkehrt, was ich auch oftmals aus Gesprächen mit anderen heraushöre.
Mein Ältester hat seine Ausbildung als Veranstaltungstechniker gemacht und ist – trotz seiner Niereninsuffizienz – immer noch dabei, der Mittlere hat sein Studium in Amerika über ein Stipendium angefangen, worum er sich komplett alleine gekümmert hat. Vielleicht kommt da ein bisschen mein Handicap zum Tragen, da beide gesehen haben, dass verdammt viel möglich ist.
Momo: Alleinerziehend zu sein und dazu noch ein Handicap zu haben – das ist sicher eine psychosoziale Doppelbelastung. Wie sind hier Ihre Erfahrungen?
Meine Kinder sind schon mit meiner Behinderung groß geworden, sie stand nie besonders im Vordergrund. Ich habe versucht, ihnen ein relativ normales Leben vorzuleben. Ich habe durch sie ein sehr sozial eingebundenes Leben geführt, was ich nach der Trennung auch fortgesetzt habe. Schon in der Ehe habe ich mich um vieles gekümmert und danach kamen ein paar Belastungen dazu. Aber ich bin auch mit meinen Aufgaben gewachsen. Ich denke, diese Belastung haben gesunde Menschen letztlich genauso.
Momo: Bei der Recherche zu diesem Thema ist uns aufgefallen, dass für Alleinerziehende mit Handicap nur eine begrenzte Auswahl an Informationen zur Verfügung steht. Wo und wie haben Sie sich informiert?
Ich muss sagen, Informationen und Austausch finden bei mir nur über meinen Freundeskreis und in meiner Familie selbst statt. Klar weiß man, dass es Selbsthilfegruppen für Alleinerziehende gibt. Aber dort war ich nicht. Da war mir meine Zeit dann zu schade und ich verwendete sie lieber, um Sport zu treiben. Und ich kannte mittlerweile auch schon genug Betroffene, mit denen ich mich austauschen konnte.
„Irgendwie geht es immer weiter und es gibt so viel Schönes im Leben zu erleben und zu erfahren. Man muss nur offen dafür sein!“