Hört uns endlich! – Leise Hilferufe zählen! Pflegende Familien brauchen eine Lobby

Arzt bereitet Kind für eine Impfung vor
von Verena Sophie Niethammer

#CoronaEltern und #ElternInDerKrise sind Hashtags, die uns durch das Pandemiejahr begleiten – Eltern, die aufbegehren dagegen, alles auffangen zu müssen. Doch auch im zweiten Lockdown bleibt wieder das meiste an Familien – vor allem den Frauen – hängen. Diese Schieflage ist, ohne dass sie gelöst wird, immerhin bekannt. Unerhört bleiben indes die Rufe pflegender Familien am Ende ihrer Kräfte. Sie nimmt wieder fast niemand wahr – weder medial, gesellschaftlich noch politisch.

Spritze und Ampullen

Es ist richtig, dass neben medizinischen Fachkräften die Risikogruppe vorrangig geimpft wird. Doch nicht nur die Generation Ü80 und Heimbewohner*innen, sondern auch Minderjährige mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen sind massiv bedroht! Aber sie stehen noch auf keinem Impfplan! Und was hilft es, wenn nur einer von mehreren pflegenden Angehörigen die Impfung erhält? Vor dem Hintergrund von zwölf Jahren UN-Behindertenrechtskonvention ist das Übersehen von Menschen mit Behinderungen auch nicht entschuldbar – und nun geht es wirklich ums Überleben! Deshalb macht die Aktion Risikogruppenkind mit einem offenen Brief darauf aufmerksam, dass man Kinder zu ihrem Schutz nicht dauerhaft isolieren darf. Sie fordert Impfung, Bildung und finanzielle Entlastung für uns pflegende Familien, die besonders gebeutelt sind durch die anhaltende Coronakrise. Wir sind in einem mehrfachen Dilemma: Bereits ohne Pandemie ist das Jonglieren mit Bedürfnissen, das Aufrechterhalten eines funktionierenden Alltags ein enormer Balance- und Kraftakt für ein Familiensystem. Nun kommt zur Pflegeverantwortung auch noch der Schutz des gefährdeten Kindes hinzu.

Unser Sohn hat letzten Herbst endlich einen Inklusionsplatz im Kindergarten bekommen. Kurz nach der Eingewöhnung, als die Fallzahlen nach oben schnellten, mussten wir ihn zu Hause lassen. So vieles ist hinfällig, anderes wie die Arbeit und Förderung muss weiterlaufen. Wir sagten u. a. eine wichtige Intensivtherapie ab, auf die wir schon seit Jahren gewartet hatten. Ohne Impfung ist es uns einfach zu gefährlich. Was bei ihm, der chronisch verschleimt ist und schon mit Bronchitis in der Klinik landet, Corona bedeuten würde, will sich keiner ausmalen. Seine kleine Schwester möchte so gerne ihre Freunde sehen. Sie vermisst furchtbar den Kindergarten, fragt nach Ausflügen. Schon früher konnten wir mit ihr nicht so viel unternehmen – jetzt sind wir stets am Abwägen: Was können wir ermöglichen, ohne Gefahr zu laufen, dass wir uns anstecken? Wenn, dann geht einer von uns mit ihr möglichst mit dickem Regenoverall nach draußen, der andere bleibt im „Hausarrest“ mit unserem Junior. Das geht auch auf die Psyche.

Fehlende Unterstützung prägte bereits vor der Krise das Leben von vielen pflegenden Eltern – und nun? Den meisten ist noch mehr Entlastung weggebrochen. Aber einfach die Schulen ohne gute Schutzkonzepte wieder zu öffnen, wie es in Baden-Württemberg bei den SBB ab Januar gemacht wurde, ist unverantwortlich. Daneben laufen alle Kämpfe weiter: das Streiten um Hilfsmittel, das Ringen um Teilhabe … Leider gibt es da keine Coronapause. Im Gegenteil, jetzt kommt noch einiges obendrauf: Die Kosten für Pflegemittel sind explodiert, die Schulbegleitung darf oft nicht mit nach Hause, FFP2-Masken und Schnelltests werden meist nur für Einrichtungen genehmigt, aber Familien, die mangels Pflegenotstand allein oder über das persönliche Budget pflegen, werden übergangen.

Wir sind es inzwischen so leid, übersehen zu werden. Viele resignieren. Raul Krauthausen schreibt, dass Menschen mit Behinderung eher leise leiden, weil es zu ihrem Leben gehört, immer wieder gegen Mauern zu rennen, und sie nicht als Opfer gesehen werden wollen. Melden sich Einzelne zu Wort, heißt es: „Ihr ruft zu leise – nur wer laut ist, wird gehört!“ Doch wie soll das gehen, wenn man am Ende ist? In jedem Erste-Hilfe-Kurs lernt man doch: Hilf erst denen, die still sind, die anderen haben noch Kraft zu schreien! Ich sehe nur eine Hoffnung darin, wenn wir uns nachdrücklich Gehör verschaffen. Es ist Wahljahr, wir haben alle unsere Stimmen. Schreibt euren lokalen Abgeordneten oder lasst eure Verbände dies für euch tun. Wir geben nur denen unsere Stimme, die für uns einstehen! Helft uns, gehört zu werden, schafft uns endlich eine Lobby!

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