Im Gespräch mit Bernhard Hoëcker

Lieber Herr Hoëcker,

die Leserinnen und Leser unseres Magazins „Momo – Mobilität · Motion & Barrierefrei“ freuen sich sehr, dass Sie sich die Zeit für ein Interview mit uns genommen haben.

Ein Buch für Kinder zu verfassen, bringt viel Freude und auch eine Herausforderung an uns Erwachsene: Geräusche Kindern nicht nur zu erklären, sondern auch zu definieren und zu imitieren.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Es erweitert den eigenen Horizont. Ich weiß noch, wie wir uns einfach in den Park gestellt haben, um einmal zu hören, was es für Geräusche gibt. Oder sich zu überlegen, was das Ohr eigentlich wahrnimmt, wenn Winter ist. Sehr schnell stellt man fest, dass die Welt niemals wirklich ruhig ist. Immer tickt irgendwo eine Uhr, fährt ein Auto in der Ferne über einen Hügel oder zwitschert ein Vogel. Und sich selbst klarzumachen, wie bunt diese Welt der Geräusche ist, ist nicht nur für den Leser und die Leserin, sondern auch für uns Autoren eine tolle Erfahrung gewesen.

Das Vorlesen bedarf auch einer räumlichen Stille und Atmosphäre – auch im Hinblick darauf, dass sich Kinder, aber auch Erwachsene einen gedanklichen Raum geben, der dann von dem Vorleser mit eigenen kreativen Gedanken gefüllt wird.

Was nehmen Sie in dieser Interaktion wahr?

Ich empfinde diese Interaktion als etwas ganz Besonderes. Das liegt allein schon daran, dass das gesprochene Wort eine Rolle spielt. Die Stimme des Erzählenden ist direkt abhängig vom Raum und von der Situation, in der man sich befindet. Ein Hörbuch, ein Hörspiel oder ein Podcast gehen immer weiter, unbeeinflusst von Ort, Zeit und Situation, in der man sich befindet. Wenn man mit dem Kind auf dem Sofa sitzt, abends um acht Uhr, wenn es draußen still ist, dann liest man anders, dann hat man eine andere Stimme. Wenn ich vor einer Schulklasse stehe, erzähle ich die gleiche Geschichte mit einer anderen Betonung und mit einer anderen Dynamik. Und diese Einzigartigkeit macht dieselbe Geschichte, auch wenn man sie immer wieder neu liest, zu einer immer wieder neuen Geschichte.

Unsere Gesellschaft, so scheint es mir, wird immer lauter, so dass für manche Geräusche und die Wahrnehmung ein Einlassen darauf fehlt.

Haben Sie eine Idee, wann, wo und wie der passende Rahmen zum Vorlesen sein könnte?

Vorlesen kann man eigentlich immer. Man denkt natürlich sofort an den ruhigen Abend, aber auch eine lange Autofahrt kann sich dafür eignen. Im Zug oder im Bus ist es vielleicht etwas schwieriger, aber dann kann das Zusammenstecken der Köpfe und das leise Flüstern der Geschichte wieder eine ganz besondere Atmosphäre geben. Ich habe einmal im Zug gesessen und beobachtet, wie ein Vater seinem Sohn vorlas. Es dauerte nicht lange und Kinder aus anderen Reihen standen auf einmal daneben und hörten alle zu. Vielleicht kann man auch einfach einmal einen Spaziergang machen mit dem Ziel, auf einer Lichtung zu sein und dort dann ein Buch zu lesen oder die Orte aufzusuchen, die in einem Buch eine Rolle spielen. Eine Geschichte, die in einem Park stattfindet, kann gut in einem Park vorgelesen werden; spielt die Handlung in der Stadt, geht man zum Vorlesen an die nächste Kreuzung. Eigentlich kann man immer vorlesen, nur nicht immer gleich laut.

Wir in unserer Redaktion haben uns ausgetauscht und überlegt, dass viele Eltern – um einmal bei der pädagogischen Definition zu bleiben – Vorlesen als Nachhilfe bekommen müssten. Wir glauben, dass Vorlesen schon in der Kita ein fester Bestandteil in der Betreuung sein sollte und eine Idee könnte doch sein, dass die Eltern motiviert werden könnten, diese Geschichten zu Hause zu ergänzen.

Hätten Sie hierzu eine Idee?

Grundsätzlich ist das Erzählen einer ausgedachten oder gelernten Geschichte immer noch das Beste. Denn in dem Moment, in dem ich die Geschichte entwickle, betone ich diese genauso, wie sie sich in meinem Kopf abspielt. Das ist natürlich sehr anstrengend. Das erfordert Kreativität und man hat auch nicht immer die Energie dazu. Deshalb bieten sich Bücher zum Vorlesen als bequeme Alternative an. Jemand hat sich eine Geschichte ausgedacht, man weiß, wie sie ausgeht, und muss nur noch das, was sich andere ausgedacht haben, vorlesen. Natürlich ist es für jemanden, der den ganzen Tag gearbeitet hat, viel einfacher, abends auf die Fernbedienung zu drücken, als ein Buch aus dem Regal zu ziehen. Aber der Lohn, wenn das Kind auf dem Arm einschläft oder begeistert mitredet, ist immens.

Herzlichen Dank für Ihre Worte!

Peter Lange

Herausgeber

Fotos: © Susanna Heraucourt , Buchcover: siehe Verlag

 

„Wenn alle Menschen vorlesen würden, würde die soziale Kommunikation noch früher trainiert werden. Hier lohnt sich der Blick zurück in die Geschichte: Autoritäre Systeme hatten immer Angst davor, dass Menschen Dinge selber lesen, verstehen und für sich einordnen. Wenn Menschen selber denken und anfangen, Dinge in Frage zu stellen, wackeln diese Systeme. Und das ist genau, was Vorlesen trainiert: das eigenständige Denken und in Frage stellen.“

 

 „Ich erinnere mich an eine Lesung mit dem Katzenhuhn in einer Bücherei, Kinder allen Alters waren da. Vor dem Kapitel ‚…  das mit dem Fuchs‘ sage ich den Kindern immer, dass es sehr spannend wird und wenn sie merken, dass ihre Eltern Angst haben, dürften sie gerne bei denen auf den Schoß klettern, das würde die Eltern beruhigen.“