Mike lässt sich nicht umhauen
30 Jahre ist es her, dass Mike Schmitz sein rechtes Bein durch einen Schicksalsschlag verlor. Seinen Lebensmut hat sich der heute 51-Jährige mühsam zurückerkämpft. „Sehr lange Zeit hatte ich eine Standardbeinprothese, fleischfarben und aus einem Material, das nicht nass werden durfte. Sport war kaum möglich, Treppensteigen nur sehr mühsam.“
Vor einigen Jahren bekam er die Hightech-Beinprothese Genium X3. Sein Lebensstil änderte sich von Grund auf. Heute engagiert er sich ehrenamtlich, wird von Modelagenturen gebucht, spricht auf Kongressen und misst sich im Sport mit „Zweibeinern“, wie er sie neckisch nennt.
Wir haben mit Mike gesprochen und ihm fünf Fragen gestellt:
Welche Einschränkungen hast du im Alltag gegenüber Personen mit zwei gesunden Beinen?
Ach, das sind meist so Kleinigkeiten. 50 Meter hinter einem Bus herlaufen geht schon, aber tägliches Joggen wäre nicht möglich. Mein Auto habe ich aus Sicherheitsgründen auch umbauen lassen. Ich erlebe meine Prothese gar nicht mehr als Fremdkörper. Sie gehört einfach zu mir dazu. Meine Frau und ich machen Aktivurlaube im Allgäu oder gehen im Meer schwimmen. Sie hat mich immer unterstützt und damit auch dazu beitragen, dass ich so gut mit der Situation klarkomme. Sie hat immer gesagt: „Mich interessiert der Mensch und nicht, wie viele Beine er hat.“ Sie ist wirklich meine große Liebe.
Du trägst eine Beinprothese mit elektrischem Kniegelenk. Was ist der Vorteil gegenüber einer herkömmlichen Prothese?
Es ist eine komplett andere Welt. Die Genium-X3-Prothese ist wasserfest. Es steckt eine ausgeklügelte Technik dahinter. Man muss den Umgang erst erlernen. In einer App kann ich 30 verschiedene Sportprogramme auswählen: Fahrradfahren zum Beispiel, Stepper, Tischtennis und sogar Fechten. Im Tennismodus verhindert die Prothese beispielsweise ein Entsperren durch den Ausfallschritt. Der Fahrradmodus sorgt dafür, dass die Beinprothese einfach durch Schwung mitgeschoben wird. Auch ohne App sind diese Programme manuell einstellbar, etwa durch bestimmte Bewegungen.
Wenn ich eine Treppe nutze, aktiviere ich den benötigten Modus mit einer Wischfunktion. Es ist kompliziert, den Umgang damit zu lernen, aber es lohnt sich: Heute kann ich ohne Probleme eine Treppe hoch- oder runtergehen und muss das Bein dabei nicht nachziehen.
Du bist sehr sportlich. Welche Sportarten magst du am liebsten und warum?
Zuerst hatte ich Nordic Walking für mich entdeckt. Anfangs war es nur ein Ausprobieren zum Spaß. Schnell merkte ich aber, dass ich mich durchaus mit Menschen ohne Einschränkungen messen konnte. Einmal nahm ich an einem Wettbewerb teil. Ich hörte einen Mann sagen: „Guck mal, der hat nur ein Bein. Dann werde ich wenigstens nicht Letzter.“ Er hat ganz schön blöd geguckt, als ich vor ihm die Ziellinie überquert habe. Schwimmen mag ich auch unglaublich gerne. Ein Sprung vom Dreimeterbrett macht einfach deswegen Spaß, weil ich es nun kann. Vorher kam ich dort mit einem Bein nicht hoch. Ich fahre außerdem Fahrrad und boxe regelmäßig. Ich trainiere in einem Profiboxstall und bin dort der einzige mit Beinprothese. Das macht mich schon ein wenig stolz.
Was motiviert dich?
Vor zwei Jahren traf ich einen Mann in der Reha. Er hatte ein Bein verloren und saß im Rollstuhl. Er beobachtete, wie ich den Alltag mit meiner Prothese meisterte, und sprach mich an: „So, wie du läufst, möchte ich das auch können.“ Er hatte täglich Physiotherapien. Aber viel wichtiger war, glaube ich, dass wir jeden Abend zusammen rausgingen und übten. „Wenn du es wirklich willst, packst du es auch“, sagte ich zu ihm. Er verließ die Klinik ohne Rollstuhl. Den Austausch und die Motivation von Gleichgesinnten können kein Arzt oder keine Physiotherapie ersetzen. Durch solche Erlebnisse merke ich, dass das, was ich mache, Sinn hat.
Du bist ehrenamtlich sehr engagiert. Magst du ein paar Beispiele nennen?
Gerne. Unter „Mike macht Mut“ findest du mich auf Facebook und Instagram. Ich unterstütze auch das Projekt „Inklusion mit Herz“ (www.inklusion-mit-herz.de), welches sich dafür einsetzt, dass Menschen mit Handicap weniger Ausgrenzung aus der Gesellschaft erfahren. Ich möchte Menschen Mut machen. Es geht mir gar nicht darum, dass ich im Mittelpunkt stehe, aber ich habe gemerkt, dass ich anderen ein Vorbild sein kann.
Text: Mandy Falke
Mike im Wald: Fotograf Georg Lukas / Essen, sonstige Fotos: privat