„Schnappi“… ist jetzt mein bestes Pferd im Stall

Es ist ein ganz normaler Samstag im Oktober. Ich war als Betriebsleitung in einem Pensionspferde- und Ausbildungsstall im schönen Ostwestfalen tätig. Ich hatte alle Pferde für diesen Tag trainiert und wollte im Anschluss daran mit einem dieser jungen Pferde das Verladen üben. Gesagt, getan, LKW auf dem Hof geparkt, meine beiden Helfer eingewiesen und los ging’s. Die junge Stute folgte mir brav auf den Transporter, erschrak jedoch und rannte vom LKW. Da wir mit Fluchttieren arbeiten, ist dies keine ungewöhnliche Reaktion des Pferdes. Leider bin ich bei der Fluchtreaktion des Pferdes mit meiner rechten Hand zwischen Pferd und Anbindeplatz geraten. Dabei wurde meine Hand gequetscht, der Mittelfinger brach und das vorderste Glied des Zeigefingers riss ab. Jetzt hieß es Ruhe bewahren und ab ins Krankenhaus. Trotz der ersten OPs und 14 Tagen im Krankenhaus stand der Plan: Spätestens Weihnachten wollte ich wieder auf einem Pferd sitzen und meinem geliebten Beruf als Pferdewirtschaftsmeisterin nachgehen.

Doch es ist alles anders gekommen. Nach vier Wochen Gipsschiene sollte ich mit Hilfe von Physiotherapie die Hand trainieren, doch ohne Schmerzmittel ging das kaum. Die Bewegung war kaum auszuhalten und es wurde immer schlimmer. Ein Arzt stellt fest: Ich habe Morbus Sudeck, auch CRPS (Komplexes regionales Schmerzsyndrom) genannt, eine chronische neurologische Erkrankung, die aufgrund ihrer Seltenheit kaum erforscht ist. Drei Wochen stationäre Reha waren angedacht, um die Krankheit aufzuhalten, aus denen mehr als vier Monate wurden. Die Ärzte versuchten jede erdenkliche Therapie, leider ohne den gewünschten Erfolg. Ich hatte 24 Stunden am Tag Schmerzen – unvorstellbar, war doch vor ein paar Wochen noch alles gut. Endlich wieder zuhause angekommen, schluckte ich gut 20 Tabletten täglich, starke Schmerzmittel, von denen ich immer benebelter wurde. Mit dem Taxi wurde ich täglich zur ambulanten Reha gebracht, um einen Tagesrhythmus beizubehalten. An den Schmerzen änderte das allerdings nichts.

Ich habe zuhause nur herumgelegen und gewartet, dass der Tag vorbeigeht. Inzwischen konnte ich meinen Arm bis zum Ellenbogen nicht mehr bewegen. Die Finger waren verkrümmt, jede Berührung wurden zur Qual. Ich trug nur noch T-Shirt und Weste, weil ich keinen Pullover, keine Jacke anziehen konnte, es war einfach zu schmerzhaft. Ende 2017 fiel das erste Mal das Wort Amputation. Ob mir die Operation helfen würde, war unklar. Doch die Alternative waren noch mehr Schmerzmittel. Nach mehreren Monaten Entscheidungsfindung war mir klar: Ich lasse mir den Arm amputieren. Mir war bewusst, im schlimmsten Fall verliere ich meinen Arm, aber die Schmerzen könnten bleiben. Bei dieser Entscheidung konnte mir niemand helfen. Anfang März 2018 war es dann so weit und mein Arm wurde in der BG Klinik in Duisburg amputiert.

Nach der OP war ich einfach nur erleichtert. Wieder zuhause ging es mir schnell besser, auf eigene Faust reduzierte ich die Schmerzmittel langsam – auf null. Bis heute bin ich schmerzfrei – ich wusste gar nicht mehr, wie gut sich das anfühlt. Mit einer prothetischen Versorgung lassen sich die Ärzte bewusst Zeit, denn der Arm ist nach wie vor empfindlich und ein paar Stellen schmerzen bei Druck. Ostern 2019 bekam ich meine erste vorläufige Prothese. Jetzt hieß es trainieren, was das Zeug hielt, um diesen Hightech-Arm steuern zu können.

An die Geräusche, die entstehen, wenn ich die Finger bewege, musste sich auch unser Jack Russell Herkules gewöhnen.

Mein „Schnappi“ ist eine myoelektrisch gesteuerte Armprothese. In ihr sind 14 Griffmuster gespeichert, die ich über Elektroden und Nerven im Oberarm gezielt ansteuern kann. Ich wollte nicht nur etwas heben können, sondern auch feinmotorisch so viele Funktionen retten wie möglich. Der Arm ist schwarz und wiegt gut zwei Kilogramm. An die Geräusche, die entstehen, wenn ich die Finger bewege, musste sich auch unser Jack Russell Herkules gewöhnen. Und auch die Technik ist anfällig, man braucht eine hohe Frustrationstoleranz, denn nicht immer will der Arm direkt so, wie ich möchte. Daher fahre ich nach wie vor regelmäßig zu den Duisburger Technikern, die, wenn Not am Mann ist, auch per Ferndiagnose und Tablet auf die Hand zugreifen können.

Abends hängt „Schnappi“ dann neben dem Handy zum Laden an der Steckdose. Durch zweimal Ergotherapie in der Woche versuche ich, noch besser mit der Prothese umgehen zu können. Hier wurde und wird einfach alles geübt: Becher halten, Schuhe binden, Linkshändertraining oder Narbenbehandlung. Physiotherapie ist für mich aber mindestens genauso wichtig. Dysbalancen in der Muskulatur oder Überbelastungen der gesunden Seite werden dort zeitnah behandelt und weitgehend abgestellt. Des Weiteren hilft mir die Physiotherapie beim Aufbau und Erhalt der Schulter- und Oberarmmuskulatur. Auch Übungen zur besseren Ansteuerung des Muskels werden trainiert. Außerdem hilft mir ein permanenter Austausch mit anderen Prothesenträgern beim Erlernen neuer Dinge. Das effektivste Training ist jedoch, die Prothese zu tragen und gewisse Dinge einfach zu probieren, sozusagen „Learning by Doing“. Insgesamt ist es ein neues, verrücktes Leben, das ich heute leben darf, aber ich bin auch ruhiger geworden und dankbarer für alles, was geht. Dass mir die Amputation so viel Lebensqualität zurückgeben würde, damit hätte ich nie gerechnet. Mein Ziel war nur, wieder einen Pulli oder eine Jacke anziehen zu können – ohne Schmerzen. Das Ziel habe ich dank aller Ärzte, Therapeuten und natürlich mit Hilfe meiner Familie erreicht.

Durch zweimal Ergotherapie in der Woche versuche ich, noch besser mit der Prothese umgehen zu können. Hier wurde und wird einfach alles geübt: Becher halten, Schuhe binden, Linkshändertraining oder Narbenbehandlung.

Fotos: privat