Unser Wunschkind Giacomo – Interview mit Margrit Sartorius und Siemen Rühaak

Liebe Frau Margrit Sartorius, lieber Herr Siemen Rühaak,
Sie sind gefragte Schauspieler und engagierte Eltern – umso mehr möchten wir uns bei Ihnen bedanken, dass Sie sich für unsere „besonderen Kinder“ und deren Familien Zeit genommen haben.
Frau Sartorius, Ihre Schwangerschaft war, so sagen Sie, schön und unbeschwert – zusammen mit einem liebevollen Mann an Ihrer Seite. Können Sie sich noch an Ihre Wahrnehmungen erinnern, als Sie erfuhren, dass dieses Wunschkind eine Behinderung hat?

Dieses Wort „Behinderung“ tauchte in den ersten Wochen und sogar Monaten eigentlich so gar nicht wirklich auf, jedenfalls nicht in unserer Wahrnehmung – nicht bei den Krankenschwestern, noch den Ärzten, noch aus unserem Umfeld. Auch heute ist das Wort nicht in unserem Sprachgebrauch, wenn es um unseren Sohn geht. Nach der Geburt habe ich die ganze Nacht, nachdem Giacomo mit einem Notkaiserschnitt geholt werden musste, wach gelegen und ihm aus meinem OP-Bett meinen kleinen Finger zum Fühlen in sein Händchen gelegt und ihn die ganze Zeit angeschaut.

Da war nur Liebe und das Glück.

Am Morgen haben wir ein paar Witze gemacht – dass er uns nicht ähnlich sieht und wo ich denn wohl in der Erzeugungsnacht gewesen wäre. Wir lachten. Vor Glück … Dann sagte Siemen: „Margrit, ich glaube er hat das Down-Syndrom. Ich sagte mit einem kurzen Zucken im Bauch – ich schaute Giacomo an –: „Ah. Ja, das könnte sein. Die Mandeläuglein …“

Und: Es spielte keine Rolle.

Viel aufreibender war es, dass mein Sohn zu wenig Thrombozyten hatte und zu wenig Sauerstoff, wir deshalb in eine andere Klinik verlegt werden mussten und da zwei Wochen bleiben mussten, bis sich die Werte reguliert hatten. Und da trafen wir nur „Engel“ im Klinikum Oldenburg an, allen voran Frau Dr. Schwabe, die unseren Sohn in der Frühchenstation aufgenommen hat, um Giacomo die beste Versorgung zu gewährleisten. Und wir waren da mit eingeschlossen.

Wir wurden von allen auf der Station mit einer ganz liebevollen Hinwendung bedacht. Wir haben heute noch Kontakt. Da wurde dann getestet, ob Giacomo wirklich Trisomie 21 hätte. Ich habe mich nicht damit beschäftigt. Er war und ist unser Sohn, ein Liebeskind, weil jedes Kind – egal, wer da zu uns kommen wollte – bei uns erwünscht war.

Wie sind die Ärzte und das Pflegepersonal auf diese doch sehr unerwartete Situation eingegangen?

Wir wurden beglückwünscht zu unserem Kind. Die Schwestern liebten den kleinen Giacomo schon. Alle freuten sich mit uns. Sie haben vielleicht gemerkt, dass die Diagnose Trisomie 21 unserer Liebe zu unserem Kind keinen Abbruch tat und auch keinen Keil dazwischenwarf – genauso wenig wie es einen Wermutstropfen in uns gab. Bis heute und in alle Ewigkeit. Amen. 🙂

Was würden Sie heute, mit etwas zeitlichem Abstand, betroffenen Eltern mit auf den Weg geben?

Ihr habt ein KIND gewollt und bekommen. Und dieses Kind braucht – wie ALLE Kinder – Liebe, Respekt und Anerkennung. Habt ihr das für euer Kind, wird sich alles Weitere finden!

Welche Schulform haben Sie für Ihr Kind gewählt oder werden Sie wählen? Inklusion darf und soll ja nicht nur auf dem Papier stehen.

Unser Sohn geht auf eine Regelschule mit Montessori-Zweig. An dieser Schule wird Inklusion mit ganzem Herzen gelebt. Wir haben lange gesucht. Und gefunden.
Er ist sehr froh dort, respektiert, angenommen und wird gefördert. Ist ein Kind unter anderen.

Nicht von allen Schulen, die Inklusion im Label tragen, kann man das sagen. Die Politik spart an der Ausbildung von Lehrern und Begleitern, die unsere Kinder verstehen. Errungenschaften wie Förderstunden werden wieder gestrichen, das heißt eingespart.

Da ist noch viel zu tun. Wir als Eltern müssen die Politik anscheinend immer wieder erinnern,
dass unser Land die UN-Charta mitunterzeichnet hat, die u. a. besagt, dass unsere Kinder das gleiche Recht auf Bildung haben wie alle anderen!

Sie leben zudem auch sehr viel in Italien und leiten beispielsweise Theaterworkshops. Welche Aufgaben übernimmt Giacomo dabei?

Keine speziellen Aufgaben. Er ist dabei, macht hin und wieder mit, öffnet die Herzen. Er nimmt viel auf. Und profitiert sichtbar davon! Er liebt es, „Theater“ zu spielen – und ist hochbegabt!

Das Magazin Momo ist für Eltern und Kinder, die besonders sind. Es soll nicht nur Mut machen, sondern auch eine Plattform bieten, auf der Eltern und Betroffene die Möglichkeit haben, sich auszutauschen. Betroffene Eltern für Eltern! Haben Sie eine Lebensphilosophie für unsere kleinen und großen Leser?

Ja. Aber wir möchten vorher noch etwas zu dem Wort „Betroffene“ sagen. Das klingt immer nach Unglück, als hätte uns da etwas „getroffen“, das besonders schlimm, besonders schwer ist. Sind wir nicht zuallererst und hauptsächlich fast alle GLÜCKLICH mit und über unsere Kinder? Ist nicht jeder Tag ohne sie ein verlorener Tag? Um ein Sprichwort etwas abzuwandeln: Wir sind nicht „betroffen“! Wir sind reich beschenkt!

Macht – bei allen Stolpersteinen, die sich euch in den Weg stellen – WEITER! Mit all eurer Liebe.

Hindernisse sind überall, bei allen – und wollen aus dem Weg geräumt werden. Wir sind inzwischen so etwas wie eine kleine, besondere Gemeinschaft. Und auf die können wir uns verlassen. Es gibt IMMER eine Lösung.

Meine Erfahrung mit Familien mit einem Kind mit Trisomie 21 hat mir gezeigt, dass diese Kinder sehr lebenslustig und empathisch durch ihr junges Leben gehen.
Und wir wünschen uns alle, dass diese besonderen Kinder idealerweise ein normales Leben mit viel Akzeptanz und Respekt leben können.

Fotos: privat Familie Sartorius / Rühaak