Was macht eigentlich Ben?

Ben lächelnder Junge mit Behinderung

Der Weckruf neben mir ­lautet „MAAMA, aufstehen …, ­MAAAMA aaaufsteeehn!“ – und das jeden Morgen ab 5:30 Uhr. Ich bin aus dem Tiefschlaf gerissen und sortiere mich noch, aber Ben ist unerbittlich und möchte aufstehen. Weil er sich nicht allein umdrehen kann, wird er circa zwei- bis dreimal pro Nacht wach und verlangt Hilfe beim Umlagern. Das verbessert meine Schlafqualität nicht unbedingt, erklärt aber, warum er neben mir liegt.

Ben und seine Familie

Papa ist um diese Zeit schon außer Haus und während ich Ben wickle und anziehe, gehen wir den Ablauf des Tages durch.

Ich muss angestrengt zuhören und teilweise ohne Kontext erraten, was er mir netterweise erzählen möchte, und darauf achten, dass die Stimmung nicht kippt, wenn ich es auch nach dem fünften Anlauf nicht verstehe. Dann geht‘s für Ben auf Mamas Schulter runter in die Küche – für mich den ersten Kaffee, für Ben das Frühstück und die Brotzeit vorbereiten. Nebenbei laufe ich alle zwei Minuten zu Ben, weil er etwas braucht. Außerdem muss die Brille gesäubert, in das Nachrichtenheft für die Schule geschrieben und der Talker programmiert werden. Die Hilfsmitteltasche mit Orthesen, Sandalen, SPIO-Shirt ja nicht vergessen und den speziellen Autositz schon mal nach draußen tragen. Gut, dass die Rollireifen schon am Abend Luft bekommen haben.

In diesen ersten 60 Minuten steigt mein Blutdruck um 30 Punkte und dennoch sage ich verständnisvoll: „Ja, mein Schatz, wir müssen jetzt fertig werden.“

Ben, behinderter Junge bei der Einschulung

Viele werden jetzt sagen: „Ja, das kennen wir, das ist doch normal.“
Dann wisst ihr bestimmt auch, dass der Alltag mit einem behinderten Kind dreimal so viel Zeit in Anspruch nimmt, einfach alles umständlicher ist und die Organisation der vielfältigen Termine, Schreibarbeit und Fahrtstrecken ein Kraftakt ist? Genau … und das Jahr für Jahr.
Das war auch ein Grund, dass wir vor sieben Jahren unseren „eigenen“ Therapiestuhl (BEN) und sogar auch einen speziellen Reitersitz (LEO) entwickelt haben, damit unser Kind beim Essen auf Augenhöhe sitzt, was das Handling der Mahlzeiten erleichtert, denn er kann die Unterarme abstützen und somit allein essen.
Er kann auch ruhigen Gewissens mal allein sitzen beim Spielen, wenn er am Tablet Filme schaut, oder beim Homeschooling – damit in dieser Zeit die Mama mal durchatmen oder gegen das schlechte Gewissen morgens einfach mal auf den Stepper kann. In seinem Stuhl fühlt er sich wohl und sicher, was seine Selbstständigkeit fördert, die Wahrnehmung unterstützt und ihm hilft, selbstbestimmt und selbstbewusst zu werden. Seither ist das Thema Sitzen bei uns perfekt gelöst und wir haben einen Stresspunkt und eine Sorge weniger.
Ben wird bald zehn Jahre alt, er erlitt bei der Geburt einen Sauerstoffmangel. Er kann aufgrund einer Infantilen Cerebralparese nicht ohne Hilfe sitzen, stehen oder laufen. Kognitiv entwickelt er sich fortlaufend gut, ist jedoch nach wie vor in Teilen entwicklungsverzögert.
Seit gut zwei Jahren ist unser Sonnenschein Ben nun ein Schulkind und hat mit Hilfe seines Talkers und mit sehr viel zusätzlicher Förderung Lesen und Rechnen gelernt. Mitteilungen schreibt er mit seiner guten rechten Hand über seinen Computer und das Touchpad hat er im Griff. Das erfüllt uns mit unglaublichem Stolz und für ihn ist es ein wichtiger Schritt in die Selbstständigkeit. Noch vor einigen Jahren hatten wir nicht zu träumen gewagt, dass sich Ben so wunderbar entwickelt. Er trainiert fleißig und motiviert und hat motorisch Strukturen entwickelt, wie er seine Defizite für sich ausgleichen kann. Orthopädisch wurde weder eine Beckenauffälligkeit noch eine ­Skoliose ausgebildet, was engmaschig kontrolliert wird.
Diese Entwicklung haben wir unserer Meinung nach der langjährigen Aktivierung durch Bens Stuhl zu verdanken. Natürlich unterstützt durch umfangreiche Therapien wie die konduktive Förderung, das Lokomat-­Training, das Reiten und die neurologische Intensivtherapie Adeli.
Dennoch ist jedes Stückchen Fortschritt für uns und Ben ein Meilenstein und bedarf 100-facher Wiederholung, was ihn zu einem geduldigen und auch ehrgeizigen kleinen Mann macht.

Und in diesen Momenten sind wir ­unglaublich glücklich und stolz auf ­unseren tapferen, motivierten und ­cleveren Ben.

Text und Fotos: Familie Bartl