Young Carers – Allein im Pflegedschungel?

Unterstützung für junge Pflegende

young carers junge Pflegekräfte

Junge pflegende Angehörige oder junge Menschen mit Pflegeverantwortung  – kurz JUMP. Es gibt sehr viele Begriffe, die diese Gruppe bezeichnen. Im englisch sprachigen Raum unterscheidet man weiter zwischen young carers, Kinder oder Jugendlichen, die pflegen und young adult carers, jungen erwachsene Pflegende, die sich um andere Familienmitglieder kümmern. Hierzulande ist noch sehr selten von dieser Personengruppe die Rede, wenn es um Angehörigenpflege geht.

Doch es handelt sich um keine geringe Zahl von Betroffenen – allein 225 000 minderjährige pflegende Angehörige gibt es aktuell in Deutschland, wobei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist.

Doch junge Pflegende nehmen sich selbst oft nicht wahr als pflegende Angehörige. Viele denken sie packen einfach mit an, weil beispielsweise die Mutter erkrankt ist, der Opa nicht mehr allein zurecht kommt oder ein Geschwisterkind mit Behinderung Betreuung benötigt. Durch das fehlende Selbstverständnis, wissen Sie oft auch nicht, dass Ihnen eigentlich Unterstützung und Entlastung zusteht. Je nachdem, wie alt die betreffende Person ist oder welche Erkrankung oder Behinderung vorliegt, gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten. Auch welche Art von Pflegebedürftigkeit besteht, ist sehr wichtig, um zu überlegen, welche Hilfe die passende ist. Neben akuten Fällen, die plötzlich z.B. durch einen Unfall oder gesundheitlichen Vorfall, wie einen Schlaganfall oder akute schwere Erkrankung entstehen, können auch fortschreitende Krankheiten und Behinderungen zu einer Pflegebedürftigkeit führen. Aber eine psychische Erkrankung oder Suchterkrankung kann zum Verlust der Selbstständigkeit eines führen. Zusammengefasst – einfach alle Fälle, bei denen sich ein Familienmitglied sich nicht (mehr) um sich selbst und seine Aufgaben kümmern kann.

Die Art des pflegerischen Bedarfs kann dabei ebenfalls sehr unterschiedlich sein. Viele assoziieren mit Pflege immer noch klassische Tätigkeiten der Körperpflege oder Versorgung, wie das waschen des Körpers, Essen geben oder das Wechseln von Inkontinenzartikeln, wie man sie vor allem in der Seniorenpflege kennt. Dabei umfasst Pflege viel mehr als das: Auch das große Feld der Sorgearbeit, mit Aufgaben wie zum Beispiel Termine vereinbaren, Medikamente bestellen, Post erledigen, zu Ärzten begleiten, gehört mit hinein. Dazu kommen häufig noch weitere Aspekte der Carearbeit von Aufräumen, Einkaufen, Kleiderpflege, Kochen, bis Putzen, die ebenfalls von diesen jungen Menschen oft zu großen Teilen übernommen werden. Wenn diese Pflegetätigkeiten von den young carers neben der Schule, Ausbildung der oder bei young adult careres neben ihrer Berufstätigkeit geleistet werden, kommen sie selbst häufig zu kurz geraten über die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Zeit für Freizeit,  Freunde oder Erholung bleibt so kaum. Besonders hart trifft es Kindern oder Jugendliche von Alleinerziehenden, da sie dann oft nahezu alle Aufgaben übernehmen. Häufig haben sie Angst haben, dass wie, wenn es nach außen dringt, vielleicht in eine Betreuungseinrichtung oder die Eltern gegen ihren Willen in eine stationäre Pflegeeinrichtung müssen. Doch es gilt das Recht auf Selbstbestimmung und Wahl des Wohnorts. Deshalb ist es ganz wichtig, solche Ängste zu nehmen und den jungen Pflegenden Unterstützungsmöglichkeiten zu zeigen, die es gibt.

Young Carer Anna Kaltenbach

Grundsätze für junge pflegende Angehörige

Die Pflegeexpertin Anna Kaltenbach, die selbst junge pflegende Angehörige ist, warnt vor falschen Glaubenssätzen, die weit verbreitet sind und stellt diese richtig:

„Das ist jetzt meine Aufgabe als Sohn, Mutter, Enkel…und ich muss die Pflege alleine auf mich nehmen“ – Nein! Ihr müsst da nicht alleine durch, es gibt Unterstützung, die man in Anspruch nehmen sollte. Auch wenn ihr der pflegebedürftigen Person sehr nahe steht, weil sie zu Beispiel eure Vater, Kind oder Oma ist – traut euch Hilfe anzunehmen.

„Es ist peinlich und ein Zeichen von Schwäche, wenn ich von der Situation zu Hause überfordert bin.“  – Falsch, im Gegenteil: Es zeigt viel Verantwortungsbewusstsein, wenn man sich Unterstützung holt. Pflege ist ein hochkomplexes Thema. Setzt euch mit Profis wie dem Sozialen Dienst in der Klinik oder einer Pflegeberatungs- oder EUTB-Stelle an eurem Wohnort zusammen, gerade in Akutsituationen, um die grundliegenden Dinge zu organisieren oder wenn es deutlich ist, das eine Verschlechterung ansteht.

„Ich muss die alltägliche Pflege übernehmen, es ist peinlich, wenn ich es nicht selbst hinbekomme, andere schaffen es ja auch.“ – Das stimmt nicht! Niemand muss sich schämen sich Hilfe zu holen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten von alltäglichen Beistand durch einen ambulanten Pflegedienst bis zu gelegentliche Unterstützung durch Optionen wie Entlastungsleistungen, Verhinderungspflege oder Kurzzeitpflege, die Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen zustehen.

Tipp: Die wichtigsten Fachbegriffe zum Thema Pflege – wie bsw. Pflegerad, MDK-Begutachtung, Hilfsmittel, Verhinderungspflege, Entlastungsleistungen werden auf der regelmäßig aktualisierten Seite www.pflege-dschungel.de verständlich erklärt.

Gerade für Jugendliche oder junge Erwachsene, ist es schwer im Dschungel aus Rechten, Pflichten, die für Menschen mit Behinderung und pflegende Angehörige gelten, zurechtzufinden.

Unterstützung finden

Der erste Schritt ab dem Moment, in dem klar ist, dass eine schwere Erkrankung oder Behinderung vorliegt ist, dass man sich Hilfe sucht in einer Beratungsstelle.

Das kann entweder bereits im Krankenhaus sein, dort kann man zur Sprechstunde des Sozialen Dienst gehen oder ein Gespräch mit sozialpädagogischen Fachkräfte in Anspruch nehmen. Diese Expert*innen können helfen, die ersten umfassenden Formalitäten zu erledigen, wie Anträge für einen Pflegegrad und Schwerbehindertenausweis.

Wenn sich die Erkrankung oder die Problematik zu Hause unbemerkt oder langsam einstellt, kann man direkt in der Gemeinde vor Ort und Unterstützung bitten. Ansprechpartner sind  u.a. das Bürgerbüro im Rathaus, dort wissen die Mitarbeiter*innen wo es Pflegeberatungsstellen gibt. Eine unabhängige Pflegeberatung, wie sie beispielsweise in Pflegestützpunkten angeboten wird, ist kostenlos. Sie können dabei helfen einen Pflegedienst zu finden oder Anbieter von unterstützenden Leistungen im Alltag vermitteln. Neben der schweren Fachsprache der Pflegegesetze kommt erschwerend hinzu, dass sich die Regelungen oft in den verschiedenen Bundesländer unterscheiden. Daneben gibt auch die Möglichkeit, pflegebedürftige Personen zeitweise stationär unterzubringen in Kurzzeitpflegeeinrichtungen oder auch in Hospizen. Oft kennen sich diese Stellen aber vor allem mit älteren pflegebedürftigen Personen aus.

Für jüngere pflegbedürftige Personen gibt es weitere Ansprechpartner. Hilfestellungen können z.B. bei seltenen Erkrankungen oft auch Selbsthilfegruppen geben. Für Menschen mit Behinderungen jeden Alters sind auch die staatlich geförderten EUTB-Stellen zuständig. Sie gibt es in jeder größeren Stadt und bieten häufig auch Beratungen zuhause an. An diese Teilhabeberatungsstellen sind häufig auch noch Peerberatungsgruppen von Selbstbetroffenen angedockt. Diese kennen sich sehr gut aus mit den Rechten und Nachteilsausgleichen, die Menschen mit Behinderungen zustehen, wie beispielsweise vom Parkausweis bis hin zum persönlichen Budget, für die auch die Landratsämter Ansprechpartner sind, die aber nur teilweise beraten.

Dieser Bericht entstand im Austausch mit der gelernten Gesundheits- und Krankenpflegerin und Pflegewissenschaftlerin M. A.. Anna Kaltenbach aus Villingen-Schwenningen. Seit Juni 2021 ist sie als @junge_pflegende_angehoerige auf Instagram zu finden. Seit einiger Zeit hilft die 29-jährige ihrer Mutter ihre Oma zu Hause zu pflegen. Obwohl sie selbst mehrere Jahre auf Intensivstationen gearbeitet und sogar eine Masterabschluss in Pflegewissenschaft hat, war sie manchmal mit den Möglichkeiten überfordert und verwirrt, wo es denn Unterstützung gibt und was pflegenden Angehörigen zusteht. So entstand ihre Idee, jungen pflegenden Angehörigen auf einfachem Weg Unterstützung bei der Pflege zu Hause zu bieten.

Homepage: www.junge-pflegende-angehoerige.de

Wichtige Fachbegriffe für junge pflegende Angehörige

Elternassistenz / begleitete ElternschaftWenn Elternteile von minderjährigen Kindern schwer erkrankt oder behindert sind gibt können sie Elternassistenz oder begleitete Elternschaft in Anspruch nehmen. Das bedeutet, wenn die pflegebedürftige Mutter oder Vater vieles nicht mehr selbstständig bewältigen kann, hat sie das Recht, eine Assistenzkraft zu bekommen. Sie hilft ihr im Alltag um der Mutter- oder Vaterrolle nachkommen zu können. Das kann ganz praktisches sein wie Hilfe im Haushalt, bei der Kinderbetreuung, aber auch darüber hinaus gehen je nach Bedarf. (Das Gesetz ist unter § 78 Abs. 1, 3 SGB IX zu finden)

Young Carer im Umgang mit Alten Menschen
Vollmachten

Wenn eine Erkrankung fortschreitet und mit einer kognitiven Beeinträchtigung oder einem lebensbedrohlichen Verlauf zu rechnen ist, beispielsweise bei einer frühen Demenz oder Krebserkrankung, ist es ratsam frühzeitig eine Vorsorgevollmacht zu erstellen. Darin kann die pflegebedürftige Person, selbst bestimmen wer für sie, wenn es nötig wird, wichtige Entscheidungen treffen darf. Auch Finanzielles sollte bedacht werden, dazu kann eine extra Bankenvollmacht oder Generalvollmacht ausgestellt werden. Dazu beraten Rechtsanwälte oder Notare bei denen diese Schreiben aufzusetzen sind.

Rechtliche Betreuung

Liegt keine entsprechende Verfügung zur Vorsorge vor, kann eine außenstehende unabhängige Beratungsperson von einem Gericht bestellt werden. Gerade für junge Erwachsene mit Pflegeverantwortung ist es oft eine große Entlastung, wenn sie hier Hilfe erhalten durch eine kompetente Person wie eine sozialpädagogische Fachkraft und nicht all die mit der Pflege verbundene Bürokratie und Entscheidungen alleine bewältigen müssen.

Text: Verena Niethammer 

Foto: Privat, Pexels.com & Pixabay.com 

Quellen: behindertenbeauftragter.de, pflege.de